Book Shelf


Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen

Karl Schlögel
Inhalt

Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel beschreibt in seinem 2015 erschienenen Buch die Geschichte der Ukraine, allerdings nicht in einer chronologischen Abhandlung, sondern anhand von drei einführenden Kapiteln und acht „Bildern“ von ukrainischen Städten. In den Beschreibungen und nachfühlbaren Erkundungen dieser Städte zu verschiedenen Zeiten wird die Geschichte der Ukraine lebendig. Das Buch macht unglaublich neugierig, die beschrieben Orte selbst zu bereisen und vermittelt „nebenbei“ eine Menge an Wissen.

gelesen von Elena

Mich hat beeindruckt, wie der Autor schon im Vorwort sein eigenes Verhältnis zur Ukraine reflektiert und den oft sowjetisch/russisch geprägten Blickwinkel auf die Ukraine, der mindestens bis zur Annexion der Krim 2014 vorherrschend war und in einigen Bereichen bis heute sehr präsent ist, hinterfragt und dekonstruiert."

Was bleibt, ist die Geschichte eines europäischen Landes, das noch immer um die Anerkennung seines Zu-Europa-Gehörens kämpfen muss. Abgesehen davon hat mich jede einzelne Stadt-Geschichte fasziniert, mir neue Seiten dieses vielfältigen Landes aufgezeigt und wieder einmal vor Augen geführt, wie wichtig Wissen um die Vergangenheit für das Verständnis der Gegenwart ist.

Die Brücke über die Drina
Ivo Andrić
Inhalt

Der Autor erzählt über seine Heimatstadt Višegrad im heutigen Bosnien Herzegowina. Einst erbaut wurde die Brücke von den Osmanen, um einen wichtigen Handelsweg auszubauen und abzusichern. Seitdem dient sie als Begegnungspunkt zwischen den verschiedenen Kulturen auf dem Balkan. Der Roman endet mit der Sprengung der Brücke zu Beginn des ersten Weltkriegs. Dabei wird die Geschichte des Ortes und der Brücke nicht als Abfolge historischer Daten erzählt, sondern vielmehr über einzelne Schicksale und Anekdoten und Familiengeschichten, die mit der Brücke verbunden sind. Legenden und historische Fakten werden zu einer lebendigen Erzählung, die trotz der langen Zeitspanne eine zusammenhängende Erzählung ergibt. 

Vor allem Serben und muslimische Bosnier lebten in der Stadt, der Autor selbst stammt aus einer kroatischen Familie. Ivo Andrić hat sich Zeit seines Lebens für das Ideal eines Jugoslawiens eingesetzt, in dem die unterschiedlichen Völker friedlich zusammenleben. Die Brücke kann auch als Symbol dafür verstanden werden. Unter anderem für dieses Buch hat er 1961 den Literaturnobelpreis erhalten. 

gelesen von Ingmar

"Der Autor zeigt, wie Konflikte und Nationalismus zwischen den Völkern entstehen können. "

Das Buch zieht den Leser in das Leben der Stadt, auch ohne sie selbst besucht zu haben. Der Autor zeigt, wie Konflikte und historische Kränkungen zwischen den Völkern entstehen können, und thematisiert den übersteigerten Nationalismus und den plötzlichen Hass vor dem Ersten Weltkrieg, der an den Bosnienkrieg der 90er erinnert. Das Buch stellt einen Kontrapunkt zum heutigen Nationalismus in Bosnien und Herzegowina dar und betont, dass der kulturelle Reichtum der Stadt und Region durch den Austausch verschiedener Kulturen und deren Geschichten entsteht.

Vielleicht Esther

Katja Petrowskaja
Inhalt

In ihrem Buch "Vielleicht Esther" geht Katja Petroswkaja ihrer eigenen Familiengeschichte nach. Sie selbst wurde 1970 in Kyiv in einer jüdischen Familie geboren. In kurzen Kapiteln schildert sie das Leben ihrer Familienmitglieder, die weit verzweigt in ganz Europa und teilweise, mit unserem heutigen Blick, absurde Momente der Geschichte erleben. Da ist die Großmutter, die 1941 im besetzten Kyiv allein in der Wohnung zurückbleibt und mit den deutschen Soldaten Worte auf Jiddisch wechselt. Da ist der Revolutionär aus Odessa, dessen Bruder 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau verübt. Da ist der Urgroßvater, der in Warschau ein Waisenhaus für taubstumme Kinder gründet. Da ist die Autorin selbst, die in Tartu und Moskau studiert und dann die Familiengeschichte weiterverlagert, indem sie sich entschließt, 1999 nach Berlin zu gehen. 

gelesen von Julia

"Meine Dozentin für Slavistik hat mir damals das Buch empfohlen, als wir uns mit Erinnerungskultur auseinandergesetzt haben. "

Katja Petrowskaja schildert zwar eher Fetzen der Geschichte, aber genau das entspricht dem eigenen Gedächtnis: wir müssen unser eigenes Mosaik an Erlebnissen und Erinnerungen zusammensetzen und abgleichen, damit wir die Welt von gestern besser verstehen und den Weg der Welt von morgen besser in die eigene Hand nehmen können.Katja Petrowskaja schildert zwar eher Fetzen der Geschichte, aber genau das entspricht dem eigenen Gedächtnis: wir müssen unser eigenes Mosaik an Erlebnissen und Erinnerungen zusammensetzen und abgleichen, damit wir die Welt von gestern besser verstehen und den Weg der Welt von morgen besser in die eigene Hand nehmen können.

Der Meteorologe
Oliver Rolin
Inhalt

In "Der Meteorologe" erkundet Olivier Rolin die Geschichte des Wetterforschers Alexei Wangenheim im stalinistischen Russland. Dieser ist auf den Solowezki-Inseln im Gulag als politischer Gefangener interniert. Über Jahre glaubt er an eine irrtümliche Gefangenschaft. Wangenheim, der 1881 in einem ukrainischen Dorf geboren wurde, war als Direktor des Hydro-Meteorologischen Dienstes der Sowjetunion ein wichtiger Mann im Staate gewesen.


Die Hoffnung auf Freilassung äußert er über Jahre in Briefen. Auch seiner Tochter schickt er Texte, Zeichnungen von Pflanzen und Tieren und bringt ihr so die Naturwissenschaften näher. Olivier Rolin nutzt diese Briefe als Grundlage dieser bewegenden Biografie, die zeigt, wie Wangenheim zum Opfer des totalitären und willkürlichen Machtapparates Stalins wurde, das aus Angst vor Sabotage und Widerstand tausende Wissenschaftler und Intellektuelle ermorden ließ.

gelesen von Emanuel

"Ich fand erstaunlich, wie hartnäckig Wangenheim trotz Folter und Gefangenschaft an der kommunistischen Ideologie festhält. Seine Briefe und Zeichnungen sind teilweise im Buch enthalten und berühren aufgrund ihrer hoffnungsvollen Darstellung."

Oliver Rolin hat bei seiner Recherche eng mit Lokalhistorikern zusammengearbeitet, um das Schicksal des Meteorologen zu erzählen.


Diese Biografie ist mit 185 Seiten nicht zu umfangreich und u.a. auch durch die Abbildungen seiner Briefe authentisch erzählt. Empfehlenswert für alle, die sich mit dem Leben im stalinistischen Gulag befassen möchten.